Nikos Kazantzakis bei Lentas (von Arn Strohmeyer)
Und ich kann einen berühmten Zeugen anführen, der den Zauber von Lentas schon vor vielen Jahrzehnten erlebt und beschrieben hat: den Schriftsteller Nikos Kazantzakis, der mit seinem Roman „Alexis Sorbas“ und dessen Verfilmung Weltruhm erlangte. In die Einsamkeit am Libyschen Meer zog es Kazantzakis 1924. Es war die Zeit, als er in Begeisterung für die Ideen der kommunistischen Revolution in Russland schwelgte und auch eine neue Gesellschaft in Griechenland und Kreta schaffen wollte. Es war aber auch die Zeit, als er begonnen hatte, sein Versepos „Odyssee“ mit den 33 333 Versen zu schreiben. Am 20. 7. 1924 kündigte er in einem Brief an seine Bekannte und spätere Frau Eleni Samios an (er war zu dieser Zeit noch mit Galathea Alexiou verheiratet), dass er ans Libysche Meer gehen wolle, „wo das einsame, bescheidene Häuschen auf mich wartet.“ Am 29. Juli bittet er Eleni, nach Kreta zu kommen und mit ihm nach Leda (so nennt er Lentas-Lebena) zu reisen. „Genossin“, so spricht er Eleni in seinen Briefen an, „das Leben ist doch wunderbar ... Zusammen werden wir die teure Insel sehen, zusammen am Ufer des Libyschen Meeres sitzen, Afrika gegenüber!“ Eleni kam wirklich und hat später ihr Eintreffen dort wenig einladend beschrieben:„Eine Mineralquelle – wenn sie auch nur tröpfelte – in einem tiefen Obstgarten. Zitronen- und Zedratbäume mit saftigem, dunklem Laub, wie sie der Zöllner Rousseau liebte. Wütende Fliegen und Ameisen... Ein halbmondförmiger Strand, von zwei Seiten durch steil abstürzende Felsen eingeschlossen. Ein einziges Dach: ein Speicher, mit Krügen und Getreide gefüllt. Ein einziger Bewohner: ein halb tauber und blinder Greis. Leda... Weder Tisch noch Bett, keine Wäsche, nichts, was die Illusion von Behaglichkeit hervorrufen könnte. Ameisen, Fliegen und heller Sand, der rauchte wie geschmolzenes Zinn.“ Eleni muss ihren Entschluss, hierher zu reisen, wohl schon bei der Ankunft bereut haben. Sie schreibt: „‚Bitte, ein Glas Wasser’, sagte ich mit trockener Kehle nach so vielen Stunden auf dem Maultierrücken quer durch das ausgedörrte Gebirge. Der Greis erhebt sich, streichelt sich den Bart, wischt sich die knotigen Hände an den indigofarbenen Hosen ab, sucht tastend den Stock und macht sich auf den Weg zur Quelle. Er kehrt mit einer Schale lauwarmen Wassers zurück, in dem riesige Ameisen schwimmen. ‚Ameisen!’ schreie ich, Tränen in den Augen.“ Kazantzakis arbeitete in Lentas intensiv an seiner „Odyssee“, der Rest des Tages war der Lektüre und dem Baden am Strand gewidmet. „Am Tage lasen wir in einer engen Grotte kauernd, vernünftigerweise Ilias, Goethes Iphigenie auf Tauris, Äschylos und Tschechow“, notierte Eleni. Kazantzakis führte in Lentas das Nacktbaden ein– für die damalige Zeit wohl ein ungeheurer Vorgang, von dem die Leute in der Gegend noch Jahrzehnte später erzählten. Eleni erinnerte sich später an diese kleine Rebellion gegen „Sitte und Anstand“ und gegen die Kirchenmoral:„Verlegenheit, weil er nicht will, dass sich irgendein Lappen Stoff zwischen unsere Körper und das Meer legt. Dennoch war er äußerst schamhaft, und ich musste eine ganze Weile neben ihm auf der Insel leben, um die Beweggründe für sein Verhalten in Leda und seine Verehrung für das belebende Element zu begreifen.“
Lentas ist der Beginn der großen Liebe zwischen dem Schriftsteller und der „Genossin“,die er nach der Scheidung von Galathea heiraten und die ihn bis zu seinem Tod begleiten wird. Pathetisch und zugleich romantisch bekennt er in einem Brief an Eleni vom Herbst 1924 aus Heraklion: „Ein Mann und eine Frau abends am Strand –existiert Höheres im All?“ Zur selben Zeit schreibt er in einem anderen Brief an die „liebe, liebe Genossin“: „Doch wäre es, und ich müsste jetzt plötzlich sterben, so würde vor meine Augen das Meer bei Leda treten, unser Fels, der glühend heiße Kiesel, die flammenden Zitronenbäume, Ihr schlanker biegsamer Leib, Ihr schmaler und verschlossener Mund. Ach, voll von Wunderbarem ist diese Erde, und unser Herz ist ein nie befriedigtes, furchtbares Mysterium, das die ganze Höllenqual des Lebens in heilige Trunkenheit umwandelt. Erinnern Sie sich doch – welch ein Ringen, um Leda in ein Paradies zu verwandeln!“ Er wird diese Zeit mit Eleni immer in der Erinnerung bewahren: „Genossin, ich danke Gott dafür, dass es Sie gibt... und für die unvergesslichen Tage und Nächte in Leda... Ich ringe darum, die Sinnlosigkeit allen Strebens und zugleich die Ewigkeit jeden Augenblicks zu erleben. Ach, Genossin, wann werde ich wieder mit Ihnen zusammen leben können?“ (Brief aus Heraklion, Herbst 1924). Ich denke, dass Kazantzakis nicht nur ein großer Verehrer der Naturschönheiten von Lentas war, sondern dass er sich auch der mythischen Bedeutung des Ortes bewusst war, auch wenn er das explizit nicht geschrieben hat. Denn es besteht kein Zweifel: Weil die Natur hier so grandios ist, hat sich auch die mythische Phantasie dieses Platzes angenommen. Auch das ist eine Auszeichnung und eine Hervorhebung seiner Besonderheit.
Arn Strohmeyer
Wo Medizin und Psychotherapie ihren Anfang nahmen: Die Stätte des heilenden Gottes
Das Asklepios-Heiligtum in Lentas (Südkreta).
Lentas ist der Beginn der großen Liebe zwischen dem Schriftsteller und der „Genossin“,die er nach der Scheidung von Galathea heiraten und die ihn bis zu seinem Tod begleiten wird. Pathetisch und zugleich romantisch bekennt er in einem Brief an Eleni vom Herbst 1924 aus Heraklion: „Ein Mann und eine Frau abends am Strand –existiert Höheres im All?“ Zur selben Zeit schreibt er in einem anderen Brief an die „liebe, liebe Genossin“: „Doch wäre es, und ich müsste jetzt plötzlich sterben, so würde vor meine Augen das Meer bei Leda treten, unser Fels, der glühend heiße Kiesel, die flammenden Zitronenbäume, Ihr schlanker biegsamer Leib, Ihr schmaler und verschlossener Mund. Ach, voll von Wunderbarem ist diese Erde, und unser Herz ist ein nie befriedigtes, furchtbares Mysterium, das die ganze Höllenqual des Lebens in heilige Trunkenheit umwandelt. Erinnern Sie sich doch – welch ein Ringen, um Leda in ein Paradies zu verwandeln!“ Er wird diese Zeit mit Eleni immer in der Erinnerung bewahren: „Genossin, ich danke Gott dafür, dass es Sie gibt... und für die unvergesslichen Tage und Nächte in Leda... Ich ringe darum, die Sinnlosigkeit allen Strebens und zugleich die Ewigkeit jeden Augenblicks zu erleben. Ach, Genossin, wann werde ich wieder mit Ihnen zusammen leben können?“ (Brief aus Heraklion, Herbst 1924). Ich denke, dass Kazantzakis nicht nur ein großer Verehrer der Naturschönheiten von Lentas war, sondern dass er sich auch der mythischen Bedeutung des Ortes bewusst war, auch wenn er das explizit nicht geschrieben hat. Denn es besteht kein Zweifel: Weil die Natur hier so grandios ist, hat sich auch die mythische Phantasie dieses Platzes angenommen. Auch das ist eine Auszeichnung und eine Hervorhebung seiner Besonderheit.
Arn Strohmeyer
Wo Medizin und Psychotherapie ihren Anfang nahmen: Die Stätte des heilenden Gottes
Das Asklepios-Heiligtum in Lentas (Südkreta).